In den letzten Jahren haben Cannabinoide sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ihr breites Wirkungsspektrum, das von neurologischen bis hin zu immunologischen Prozessen reicht, hat das Interesse an ihren biologischen Mechanismen und therapeutischen Einsatzmöglichkeiten stark beflügelt. Mit der Entdeckung des Endocannabinoid-Systems (ECS) wurde ein zentrales regulatorisches Netzwerk identifiziert, das wesentlich zur Aufrechterhaltung der inneren Balance – der sogenannten Homöostase – beiträgt.
Parallel zur medizinischen Nutzung von Cannabis-basierten Wirkstoffen wächst die Zahl synthetischer und halbsynthetischer Cannabinoide, die neue Perspektiven, aber auch wissenschaftliche und regulatorische Herausforderungen mit sich bringen. Ziel dieses Artikels ist es, einen fundierten Überblick über Definition, chemische Grundlagen, physiologische Wirkmechanismen und therapeutisches Potenzial von Cannabinoiden zu geben – unter besonderer Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse und klinischer Entwicklungen.
Chemische Grundlagen der Cannabinoide
Cannabinoide sind eine Gruppe organischer Verbindungen, die durch ihre Fähigkeit gekennzeichnet sind, an die Cannabinoidrezeptoren des menschlichen und tierischen Nervensystems zu binden. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft weisen sie ähnliche molekulare Grundstrukturen auf, die für ihre biologische Aktivität entscheidend sind.
Chemisch lassen sich Cannabinoide in drei Hauptklassen einteilen:
Phytocannabinoide, die natürlich in der Cannabispflanze vorkommen, etwa Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol (CBD) und Cannabigerol (CBG).
Endocannabinoide, körpereigene Liganden wie Anandamid (AEA) und 2-Arachidonylglycerol (2-AG), die physiologisch im Rahmen des Endocannabinoid-Systems gebildet werden.
Synthetische Cannabinoide, die im Labor hergestellt werden, um gezielt auf Rezeptoren zu wirken oder pharmakologische Effekte zu imitieren.
Strukturell handelt es sich bei Cannabinoiden meist um Terpenophenol-Derivate – lipophile, hitzeempfindliche und leicht oxidierbare Moleküle. Diese chemischen Eigenschaften bestimmen ihre Löslichkeit in Fetten, ihre Stabilität bei Verarbeitung und letztlich auch ihre Bioverfügbarkeit im Organismus.
Das Endocannabinoid-System (ECS)
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein komplexes biologisches Regulierungsnetzwerk, das in nahezu allen Säugetieren vorkommt und eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der Homöostase spielt. Es besteht aus drei wesentlichen Komponenten: Cannabinoidrezeptoren, endogenen Liganden und abbauenden Enzymen.
Die beiden Hauptrezeptoren, CB1 und CB2, unterscheiden sich in ihrer Verteilung und Funktion. CB1-Rezeptoren befinden sich überwiegend im zentralen Nervensystem (ZNS), insbesondere in Arealen, die an Schmerzempfinden, Gedächtnis, Emotion und motorischer Kontrolle beteiligt sind. CB2-Rezeptoren kommen vor allem im Immunsystem und in peripheren Geweben vor und sind maßgeblich an entzündungshemmenden und immunmodulatorischen Prozessen beteiligt.
Die wichtigsten endogenen Liganden sind Anandamid (AEA) und 2-Arachidonylglycerol (2-AG). Sie binden an die Cannabinoidrezeptoren und regulieren neuronale und immunologische Prozesse auf natürliche Weise. Nach ihrer Freisetzung werden sie durch spezifische Enzyme wie FAAH (Fatty Acid Amide Hydrolase) und MAGL (Monoacylglycerollipase) rasch abgebaut, um eine präzise zeitliche Steuerung der Signalübertragung zu gewährleisten.
Exogene Cannabinoide wie THC und CBD interagieren ebenfalls mit diesem System: Während THC direkt an CB1- und CB2-Rezeptoren bindet und psychoaktive Effekte auslöst, wirkt CBD eher modulierend, indem es die Aktivität endogener Liganden beeinflusst und Enzyme hemmt, die deren Abbau beschleunigen. So entsteht ein fein abgestimmtes System, das grundlegende physiologische Prozesse wie Stimmung, Appetit, Schmerzempfinden und Schlaf reguliert.
Haupt-Cannabinoide und ihre Eigenschaften
Die Cannabispflanze enthält eine Vielzahl biologisch aktiver Substanzen, von denen bisher über 120 Cannabinoide identifiziert wurden. Jedes dieser Moleküle besitzt ein spezifisches pharmakologisches Profil, das sich aus seiner chemischen Struktur und seiner Bindungsaffinität zu den Cannabinoidrezeptoren ergibt.
Das bekannteste und am besten erforschte Cannabinoid ist Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC). Es wirkt psychoaktiv, entfaltet analgetische Eigenschaften und kann den Appetit stimulieren. THC bindet vor allem an CB1-Rezeptoren im zentralen Nervensystem und beeinflusst dort die Wahrnehmung, Stimmung und Motorik.
Cannabidiol (CBD), das zweitbekannteste Cannabinoid, ist nicht psychoaktiv und wirkt angstlösend (anxiolytisch), antikonvulsiv sowie entzündungshemmend. Es moduliert die Wirkung anderer Cannabinoide und trägt durch den sogenannten Entourage-Effekt zur Gesamtwirkung der Pflanze bei.
Cannabigerol (CBG) gilt als „ Stammcannabinoid “, da es die Vorstufe für THC, CBD und CBN bildet. Es zeigt antimikrobielle und neuroprotektive Eigenschaften und beeinflusst sowohl CB1- als auch CB2-Rezeptoren in modulierender Weise.
Cannabinol (CBN) entsteht durch Oxidation von THC während der Lagerung oder Trocknung. Es besitzt eine leichte sedierende Wirkung und wird oft mit entspannungsfördernden oder schlaffördernden Effekten in Verbindung gebracht.
Neben diesen klassischen Verbindungen gewinnen auch neuartige Cannabinoide zunehmend an Aufmerksamkeit. Dazu zählen HHC (Hexahydrocannabinol), HHCP (Hexahydrocannabiphorol), THCP (Tetrahydrocannabiphorol) und 10-OH-HHC, die teilweise höhere Rezeptoraffinitäten und veränderte pharmakologische Profile aufweisen. Ihre Erforschung steckt jedoch noch in den Anfängen, sodass verlässliche Daten zu Wirkung und Sicherheit bislang fehlen.
Pharmakologie und Wirkmechanismus
Die pharmakologische Wirkung von Cannabinoiden beruht in erster Linie auf ihrer Interaktion mit den Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2, die Teil des Endocannabinoid-Systems sind. Durch die Bindung an diese G-Protein-gekoppelten Rezeptoren beeinflussen Cannabinoide die Freisetzung verschiedener Neurotransmitter und modulieren damit zentrale neuronale und physiologische Prozesse.
CB1-Rezeptoren befinden sich hauptsächlich im Gehirn und Rückenmark und regulieren Funktionen wie Schmerzempfinden, Gedächtnis, Appetit und Stimmung. CB2-Rezeptoren kommen vor allem in immunologischen Geweben vor und spielen eine Rolle bei der Steuerung von Entzündungs- und Immunreaktionen.
Die Bindung eines Cannabinoids an diese Rezeptoren führt zu einer Veränderung der neuronalen Signalweiterleitung: Es kommt zur Hemmung der Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter wie Glutamat und GABA, aber auch zur indirekten Modulation dopaminerger und serotonerger Systeme. Dadurch entstehen die vielfältigen psychotropen, analgetischen und anxiolytischen Effekte.
Die Stärke und Art der Wirkung hängt stark von der chemischen Struktur und Affinität des jeweiligen Cannabinoids ab. Während THC als partieller Agonist an CB1 wirkt, verhält sich CBD als negativer allosterischer Modulator, der die Wirkung anderer Cannabinoide abschwächen oder ausgleichen kann.
Ein besonderes pharmakologisches Konzept ist der sogenannte Entourage-Effekt, bei dem mehrere Cannabinoide und Terpene synergistisch zusammenwirken. Dieses Zusammenspiel verstärkt oder moduliert die Gesamtwirkung der Pflanze und gilt als einer der Gründe, warum Vollspektrum-Cannabispräparate oft ein ausgewogeneres und wirksameres Profil zeigen als isolierte Einzelverbindungen.
Aktuelle Forschung und klinische Studien
Überblick über die wissenschaftliche Evidenz
Die Forschung zu Cannabinoiden hat in den letzten Jahren erheblich an Dynamik gewonnen. Zahlreiche randomisierte, kontrollierte Studien und systematische Reviews belegen, dass bestimmte Cannabinoide – insbesondere THC und CBD – bei ausgewählten Indikationen therapeutisch wirksam sein können. Dennoch bleibt die Datenlage in vielen Bereichen uneinheitlich, was vor allem auf Unterschiede in Dosierung, Darreichungsform und Studiendesign zurückzuführen ist.
Neue Entwicklungen in der Cannabinoidforschung
Neuere Forschungsarbeiten befassen sich zunehmend mit synthetischen und halbsynthetischen Cannabinoiden, etwa HU-210, Nabiximols, HHC, THCP oder HHCP. Diese Verbindungen zeichnen sich durch modifizierte Strukturen aus, die eine gezieltere Rezeptorbindung, höhere Stabilität und potenziell bessere Dosierbarkeit ermöglichen. Erste präklinische Ergebnisse deuten auf eine verstärkte CB1-Aktivität hin, was sowohl therapeutische Chancen als auch Risiken birgt.
Grenzen und Herausforderungen
Trotz vielversprechender Ansätze bestehen erhebliche methodische Herausforderungen: Der Placeboeffekt ist in Cannabinoid-Studien häufig stark ausgeprägt, was die Bewertung der tatsächlichen Wirksamkeit erschwert. Zudem zeigen viele Cannabinoide eine individuell variable Dosis-Wirkungs-Beziehung, wodurch standardisierte Therapieempfehlungen nur schwer ableitbar sind.
Zukünftige Forschung sollte daher auf multizentrische, doppelblinde Studien mit klar definierten Endpunkten und standardisierten Präparaten abzielen, um die klinische Evidenzbasis für Cannabinoide weiter zu festigen.
Risiken und Nebenwirkungen
Obwohl Cannabinoide ein breites therapeutisches Potenzial besitzen, sind sie nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Diese variieren je nach Wirkstoff, Dosierung, individueller Empfindlichkeit und Anwendungsdauer.
Kurzfristig können Cannabinoide eine Erhöhung der Herzfrequenz, Schwindel, Angstgefühle, veränderte Wahrnehmung und Mundtrockenheit auslösen. THC-haltige Präparate können außerdem zu Koordinationsstörungen, verzögerter Reaktionszeit und vorübergehenden Gedächtnisbeeinträchtigungen führen. Solche Effekte sind in der Regel reversibel, treten jedoch häufiger bei höheren Dosen oder unerfahrenen Konsumenten auf.
Langfristig kann der wiederholte Konsum insbesondere psychoaktiver Cannabinoide zur Toleranzentwicklung und in Einzelfällen zu einer psychischen Abhängigkeit führen. Studien zeigen zudem, dass bei Jugendlichen und Heranwachsenden, deren Gehirn sich noch in der Entwicklung befindet, ein erhöhtes Risiko für kognitive Einschränkungen und Störungen der Emotionsregulation besteht.
Darüber hinaus können Arzneimittelinteraktionen auftreten. Cannabinoide, insbesondere CBD, beeinflussen Enzyme des Cytochrom-P450-Systems und können so den Metabolismus anderer Medikamente verändern. Besonders betroffen sind Antidepressiva, Antikoagulanzien, Antiepileptika und Benzodiazepine, was zu einer Verstärkung oder Abschwächung ihrer Wirkung führen kann.
Ein spezielles Risiko besteht bei synthetischen Cannabinoiden, die aufgrund veränderter chemischer Strukturen oft eine deutlich höhere Potenz aufweisen als natürliche Cannabinoide. Diese Substanzen können toxisch wirken, kardiovaskuläre Komplikationen, psychotische Episoden oder in Extremfällen sogar lebensbedrohliche Zustände verursachen.
Die sichere Anwendung von Cannabinoiden setzt daher ärztliche Begleitung, qualitätsgeprüfte Präparate und eine individuell angepasste Dosierung voraus, um therapeutischen Nutzen und potenzielle Risiken in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.
Gesellschaftliche und rechtliche Aspekte
Die gesellschaftliche und rechtliche Bewertung von Cannabis und Cannabinoiden hat sich in den letzten Jahren weltweit stark verändert. Während Cannabis lange Zeit fast ausschließlich als illegale Droge galt, findet heute eine differenzierte Betrachtung zwischen medizinischem und freizeitbezogenem Gebrauch statt.
In Deutschland ist Cannabis seit 2017 unter bestimmten Voraussetzungen für medizinische Zwecke legal und kann auf Rezept verordnet werden. Die rechtliche Grundlage bildet das Cannabisgesetz, das eine Abgabe über Apotheken erlaubt. Für den Freizeitgebrauch wurde die rechtliche Situation in jüngster Zeit gelockert: Der Besitz geringer Mengen und der private Eigenanbau sind seit 2024 unter klar definierten Bedingungen teilweise entkriminalisiert, während kommerzielle Vermarktung weiterhin untersagt bleibt.
Auf europäischer Ebene besteht ein heterogenes Bild: Länder wie Portugal, die Schweiz und die Niederlande verfolgen liberalere Ansätze, wohingegen Staaten wie Frankreich oder Schweden weiterhin eine restriktive Politik beibehalten. Außerhalb Europas haben insbesondere Kanada, Uruguay und mehrere US-Bundesstaaten Cannabis vollständig legalisiert, wodurch sich dort dynamische Märkte für medizinische und freizeitbezogene Produkte entwickelt haben.
Die ökonomische Bedeutung der Cannabisindustrie wächst stetig. Weltweit entstehen neue Wirtschaftszweige rund um medizinisches Cannabis, Forschung, Produktentwicklung und Patente. Deutschland gilt aufgrund seiner Regulierung und pharmazeutischen Standards als ein wichtiger europäischer Standort für Cannabinoid-basierte Arzneimittel.
Parallel dazu wird eine ethische Diskussion geführt, die Themen wie Entkriminalisierung, Patientenzugang, Suchtprävention und Jugendschutz umfasst. Während Befürworter eine evidenzbasierte Regulierung fordern, warnen Kritiker vor gesellschaftlichen Risiken und einem möglichen Anstieg des Konsums unter Jugendlichen.
Insgesamt spiegelt sich in der Debatte ein grundlegender Wandel wider – weg von der pauschalen Stigmatisierung, hin zu einer wissenschaftlich fundierten, regulierten und sozial verantwortlichen Nutzung von Cannabinoiden.
Zukunftsperspektiven
Die Zukunft der Cannabinoidforschung verspricht bedeutende wissenschaftliche und medizinische Fortschritte. Mit der fortschreitenden Entschlüsselung des Endocannabinoid-Systems und seiner komplexen Signalwege eröffnen sich neue Ansätze für gezielte therapeutische Interventionen. Moderne Forschung konzentriert sich zunehmend auf neue Rezeptoren, genetische Einflüsse und zelluläre Mechanismen, die über die klassischen CB1- und CB2-Rezeptoren hinausgehen. Dadurch entsteht ein immer differenzierteres Verständnis davon, wie Cannabinoide auf molekularer Ebene wirken.
Ein wichtiger Entwicklungstrend liegt in der Schaffung synthetischer und halbsynthetischer Analoga, die gezielt auf bestimmte Rezeptoren einwirken sollen. Besonders CB2-selektive Agonisten stehen im Fokus, da sie entzündungshemmende und immunmodulierende Wirkungen entfalten, ohne die psychoaktiven Effekte von CB1-vermittelten Substanzen hervorzurufen. Solche selektiven Wirkstoffe könnten künftig in der Schmerztherapie, Immunologie und Onkologie eine zentrale Rolle spielen.
Darüber hinaus bietet sich ein enormes Potenzial in der Präventivmedizin und personalisierten Therapie. Durch genetische Analysen und biomarkerbasierte Ansätze könnte die individuelle Empfindlichkeit gegenüber Cannabinoiden bestimmt werden – ein Schritt hin zu maßgeschneiderten Behandlungsstrategien, die Wirksamkeit maximieren und Nebenwirkungen minimieren.
Langfristig ist eine Integration von Cannabinoiden in multimodale Behandlungsansätze zu erwarten. In Kombination mit Physiotherapie, Psychotherapie oder Ernährungsmedizin könnten sie als ergänzende Bausteine zur Förderung von Ganzkörpergesundheit und Homöostase dienen.
Damit dieser Fortschritt gelingt, bedarf es jedoch einer engeren Verbindung von Grundlagenforschung, klinischer Praxis und Regulierung. Nur durch standardisierte Studien, Qualitätskontrolle und verantwortliche Gesetzgebung kann das volle Potenzial von Cannabinoiden sicher und wirksam ausgeschöpft werden.
Diskussion
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Cannabinoiden steht an einem spannenden Punkt zwischen etabliertem Wissen und offenen Fragen. Die bisherige Evidenzlage deutet auf ein beträchtliches therapeutisches Potenzial hin, insbesondere in der Schmerztherapie, Neurologie und Psychiatrie. Gleichzeitig zeigen die vorhandenen Daten, dass Cannabinoide keine universellen Heilmittel sind, sondern komplexe Wirkstoffe mit individuellen Effekten, Wechselwirkungen und Risiken.
Ein zentrales Problem besteht in der Heterogenität der Studienlage. Viele klinische Untersuchungen unterscheiden sich stark in Dosierung, Applikationsform und Zusammensetzung der verwendeten Präparate. Diese Variabilität erschwert eine präzise Bewertung von Wirksamkeit und Sicherheit. Zudem sind Langzeitstudien nach wie vor rar, wodurch Aussagen über Toleranzentwicklung, Abhängigkeit und kognitive Langzeitfolgen nur eingeschränkt möglich sind.
Es besteht daher ein deutlicher Bedarf an weiteren klinischen Studien mit kontrollierten Designs, die standardisierte Cannabinoidformulierungen verwenden und klare Vergleichsgruppen einschließen. Solche Studien sind entscheidend, um den Einsatz von Cannabinoiden auf eine wissenschaftlich fundierte Grundlage zu stellen und individuelle Risiken besser abzuschätzen.
Darüber hinaus erfordert die Erforschung der Cannabinoide einen interdisziplinären Ansatz: Nur durch die enge Zusammenarbeit von Pharmakologie, Neurowissenschaft, Psychiatrie, Immunologie und Rechtswissenschaft kann ein ganzheitliches Verständnis entstehen. Diese Vernetzung ist entscheidend, um Cannabinoide künftig nicht nur als therapeutische Wirkstoffe, sondern auch als Teil eines komplexen biologischen Regulationssystems zu begreifen.
Insgesamt zeigt sich, dass Cannabinoide ein enormes wissenschaftliches und medizinisches Potenzial besitzen – ihre verantwortungsvolle Nutzung setzt jedoch präzise Forschung, klare Regulierungen und kritische Reflexion voraus.
Fazit
Cannabinoide stellen eine vielfältige Klasse biologisch aktiver Moleküle dar, die in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus von Wissenschaft, Medizin und Gesellschaft gerückt sind. Ihre Fähigkeit, mit dem körpereigenen Endocannabinoid-System (ECS) zu interagieren, macht sie zu einem wichtigen Bestandteil der Regulation zentraler physiologischer Prozesse wie Schmerzempfinden, Stimmung, Schlaf, Appetit und Immunreaktion.
Die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen ein erhebliches medizinisches Potenzial, insbesondere bei chronischen Schmerzen, neurologischen Erkrankungen und psychischen Störungen. Gleichzeitig verdeutlichen sie, dass Cannabinoide nicht als universelle Lösung, sondern als präzise einzusetzende Wirkstoffe betrachtet werden müssen, deren Effekte stark von Dosierung, individueller Biochemie und Zusammensetzung abhängen.
Trotz der Fortschritte bestehen weiterhin bedeutende Forschungslücken – vor allem in den Bereichen Pharmakologie, Toxikologie und klinische Anwendung. Es fehlt an Langzeitstudien, standardisierten Dosierungsempfehlungen und einer klaren Bewertung von Risiken und Wechselwirkungen.
Die Zukunft der Cannabinoidforschung liegt in einer gezielten, evidenzbasierten Integration in die moderne Medizin, begleitet von transparenten regulatorischen Rahmenbedingungen. Nur durch wissenschaftliche Präzision, Qualitätskontrolle und verantwortungsvolle Anwendung kann das volle therapeutische Potenzial von Cannabinoiden sicher genutzt und gleichzeitig ihr Missbrauchsrisiko minimiert werden.
FAQ: Cannabinoide – Wirkung, Anwendung & Forschung
1. Was sind Cannabinoide?
Cannabinoide sind bioaktive Verbindungen, die an Cannabinoidrezeptoren (CB1 und CB2) im Körper binden. Sie kommen entweder natürlich in der Cannabispflanze (Phytocannabinoide), körpereigen (Endocannabinoide) oder synthetisch im Labor hergestellt vor.
2. Wie wirken Cannabinoide im Körper?
Sie wirken über das Endocannabinoid-System (ECS), ein biologisches Netzwerk, das Prozesse wie Schmerz, Stimmung, Appetit und Schlaf reguliert. Cannabinoide modulieren die Aktivität von Neurotransmittern und tragen zur Aufrechterhaltung der Homöostase bei.
3. Was ist der Unterschied zwischen THC und CBD?
THC (Δ9-Tetrahydrocannabinol) ist psychoaktiv und erzeugt den typischen „High“-Effekt, während CBD (Cannabidiol) nicht berauschend wirkt, sondern angstlösend, entzündungshemmend und entkrampfend ist.
4. Können Cannabinoide abhängig machen?
Ja, insbesondere THC-haltige Cannabinoide können bei regelmäßigem oder hochdosiertem Konsum eine psychische Abhängigkeit verursachen. Der Körper gewöhnt sich an die ständige Aktivierung der CB1-Rezeptoren, was zu einer Toleranzentwicklung führt. CBD hingegen zeigt kein Abhängigkeitspotenzial und wird in der Forschung sogar auf seine anti-suchtfördernden Eigenschaften untersucht.
5. Gibt es wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit von Cannabinoiden?
Ja, insbesondere für CBD bei Epilepsie und THC bei Schmerz und Spastik liegen randomisierte, kontrollierte Studien vor. Dennoch ist die Evidenzlage in vielen Bereichen noch unvollständig, und weitere Forschung ist notwendig.
6. Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Kurzfristig können Mundtrockenheit, Schwindel, Angstgefühle oder erhöhter Puls auftreten. Langfristiger THC-Konsum kann Toleranz, psychische Abhängigkeit oder kognitive Beeinträchtigungen verursachen – insbesondere bei Jugendlichen.
7. Sind synthetische Cannabinoide gefährlich?
Ja, einige synthetische Cannabinoide sind deutlich potenter als natürliche und können toxische oder psychotische Reaktionen hervorrufen. Sie unterliegen in Deutschland meist dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG).
8. Ist Cannabis in Deutschland legal?
Für medizinische Zwecke ist Cannabis seit 2017 legal und kann ärztlich verschrieben werden. Der Freizeitkonsum wurde 2024 teilweise entkriminalisiert, der kommerzielle Verkauf bleibt jedoch verboten.
9. Was bedeutet der Entourage-Effekt?
Der Entourage-Effekt beschreibt die synergistische Wirkung mehrerer Cannabinoide und Terpene. Das Zusammenspiel dieser Substanzen kann die Wirkung verstärken und Nebenwirkungen abschwächen, was Vollspektrum-Produkte besonders effektiv macht.
10. Wie sieht die Zukunft der Cannabinoidforschung aus?
Die Forschung konzentriert sich auf neue Rezeptoren, synthetische Analoga und personalisierte Therapien. Zukünftig könnten CB2-selektive Wirkstoffe eine wichtige Rolle in Schmerz-, Entzündungs- und Immuntherapien spielen.